Die Klasse hat gepusht - Drei Abi-Geprüfte erzählen, wie es auf der Oberstufe der Gemeinschaftsschule war

"Coronabier – Die Schule war öfter dicht als wir“. Ihren Humor hat sie ja behalten, die „Kohorte 13“, trotz Pandemie, Schulschließungen und besonders chaotischen Prüfungsvorbereitungen.

Es sind die Schülerinnen und Schüler des Abi-Jahrgangs 2021 der gemeinsamen Oberstufe der drei Tübinger Gemeinschaftsschulen, die sich für ihren Abi-Pullover den Coronabier-Spruch ausgesucht und aufgedruckt haben. 2021 ist der erste Corona-Abitursjahrgang an der gemeinsamen Oberstufe der Gemeinschaftsschulen (GMS), einfach weil es der erste Abiturjahrgang überhaupt für diese Schule ist. Die neue, inzwischen nicht mehr ganz so neue Schulform „Gemeinschaftsschule“ ist nach 9 Jahren endlich ausgewachsen und am Ende des 13.Schuljahres angekommen: beim Abitur.

Es war eine Prüfung nicht nur für deren Schülerinnen und Schüler, sondern auch für die Lehrkräfte und für die Schulform an sich. Wie es war, erzählen drei Geprüfte: Johanna Forschner, Franziska Fischer und Anton Kommert. Alle drei waren vor der Oberstufe auf der GMS Französische Schule.
Vorneweg: Was ist eigentlich die „Kohorte 13“? Diesen Namen hat sich der Abi-Jahrgang selber verpasst. Als die Klassen nach den Corona-Schulschließungen wieder in die Schule kommen durften, wurden sie nach Jahrgangs-„Kohorten“ eingeteilt. Eine Kohorte – jeweils eine Jahrgangsstufe – durfte sich ohne Corona-Auflagen begegnen, also ohne Abstand und ohne Maske im Klassenzimmer.
Da in manchen Fächern Schülerinnen und Schüler aus mehreren Parallelklassen zusammen unterrichtet werden, war eben der einzelne Jahrgang und nicht die einzelne Klasse die Corona-Einheit in den Schulen.
Auch noch vorneweg: Alle 30 aus der Kohorte 13 haben das Abitur bestanden.

Ihr wart die Pionierklasse, also die Klasse, die immer alles zum ersten Mal an der neuen Gemeinschaftsschule machen musste. Trotzdem habt Ihr Euch dafür entschieden, auch noch in der Oberstufe die Vorhut zu sein. Wie war der Übergang?
Johanna: Wir haben alle viel überlegt in der 10. Klasse. Einige haben gesagt: ‚Oh, nicht schon wieder Versuchskaninchen. Das ist mir zu riskant, das ist mein Abi.‘ Aber wir haben uns gesagt, wir gehen da als Gruppe hin, weil das schon eine besondere Sache ist. Wir haben uns weiterhin als Klasse gefühlt.
Anton: Wir waren insgesamt 15 aus der Französischen Schule, die auf die Oberstufe gegangen sind und wir hatten gefragt, ob wir als Klasse zusammenbleiben dürfen. Das waren wir dann auch.
Johanna: Die 10. Klasse war eine besondere Zeit für alle in der Lerngruppe. Auch wir, die nicht den Realschulabschluss gemacht haben, haben dabei voll viel gelernt von den anderen. Wir haben viel mitgekriegt, wie das ist mit dem Lernen und den Prüfungen.
Franziska: Der Vorteil an der Gemeinschaftsschule ist, dass auch in den Abschlussklassen in der 9. und 10. Klasse nicht getrennt wird. Wir mit dem Gymnasialniveau waren die ganze Zeit mit den anderen Schülern zusammen, die einen Hauptschul- oder Realschulabschluss gemacht haben. Ich war von der ersten Klasse an in der Französischen Schule, ich musste nicht einmal die Schule wechseln. Das finde ich gut. Ich hatte Mitschülerinnen, mit denen ich von der ersten bis zur letzten Klasse zusammen war.

Wirklich? Ist das nicht eher doof oder langweilig?
Franziska: Nein. Es gab ja immer wieder Wechsel. In der 5. war die Klasse neu und dann der Ortswechsel vom Berg ins Tal nach der 6. Das war spannend in einem neuen Schulhaus. Und dann der komplette Wechsel vom Tal in die Stadt. Da gibt es ein supergroßes Angebot an Essensläden, in der Stadt ist es sehr trubelig. Dass ich Abitur mit meiner Dyskalkulie [Rechenschwäche, A.B.] machen konnte, war nur mit dieser Schule möglich. Ich wäre auf die Hauptschule gekommen. In der 3. Klasse ist das festgestellt worden und jetzt habe ich 12 Punkte im Abi in Mathe gemacht.
Wir waren eine sehr motivierte Klasse, total durchmischt. Ein Schüler, der sonst sicher nicht mal seinen Hauptschulabschluss gemacht hätte, hat öfters gefragt: ‚Wieso seid Ihr eigentlich alle immer so motiviert?‘
Einmal ist er in die Schule gekommen und hat ganz stolz gesagt: ‚Ich hab gestern gelernt!‘ Und wir haben alle ‚Yeah‘ gerufen. Die Klasse und die Freunde haben einfach gepusht.

Was war anders an der Oberstufe als an der Französischen Schule vorher?
Anton: In der Französischen Schule hatten wir noch mehr Freiheiten. Da konnte man zum Beispiel einfach rausgehen oder in den Computerraum gehen, wenn man wollte. In der Oberstufe waren die Möglichkeiten eingeschränkter und das Lernen war nicht mehr ganz so selbständig. Da war vieles deutlicher strukturiert. Und der Druck war größer als früher.
Johanna: Wir haben schon wahrgenommen: Am Wildermuth-und am Uhlandgymnasium gibt es eine andere Unterrichtsart und -weise. Von der Französischen Schule haben wir mitgenommen, dass es nicht so auf die Noten ankommt. Da ging es darum, sich Mühe zu geben. Dort haben wir anders gelernt, zum Beispiel bei der Herausforderung. Aber die Abi-Zeit war schon beeindruckend, da kommt dann doch das Vergleichen auf.
Franziska: Die Oberstufe ist natürlich Stress, aber es hat sich auch gut angefühlt: Am Schluss habe ich ja Abitur.
Anton: Ich hab mich überhaupt nicht gestresst gefühlt.

Ihr wart sehr wenige Schülerinnen und Schüler in Eurem Oberstufen-Jahrgang (36 am Anfang). Wie hat es denn mit der Auswahl der Leistungsfächer ausgesehen? Konntet Ihr das wählen, was Ihr wolltet?
Johanna: Es gab sehr viele Kooperationen mit den anderen Gymnasien durch den kleinen Jahrgang. Mit dem Geschwister-Scholl-Gymnasium Geschichte und Kunst zum Beispiel oder einen Sport-Leistungskurs am Uhlandgymnasium. Ich konnte am Religionskurs am Wildermuthgymnasium teilnehmen. Dabei hatten vorher alle gesagt: ‚Das kommt sowieso nicht zustande‘.
Franziska: Gefühlt waren es viele Kooperationen. Es gab zum Beispiel die Möglichkeit als einziger an einem Ethikkurs mit zu machen.

Gibt es was, was so richtig unnötig oder sogar blöd war an der Oberstufe?
Johanna: Die erste Woche in der 11. Klasse, die habe ich als totale Horrorwoche in Erinnerung. Der erste Satz in Mathe war: „Die Note setzt sich zusammen mündlich : schriftlich 50 zu 50.‘ Und wir wussten noch nicht mal die Namen der Lehrer. Da hat man schon sehr gemerkt, da war auch viel Druck bei den Lehrern, dass das mit dem Abitur klappt.
Franziska: Ja, da habe ich kurz Panik bekommen, so aus dem sehr vertrauten Rahmen raus zu sein und die Lehrer haben erzählt, was alles auf uns zukommt und erklärt: ‚In den Ferien müsst Ihr lernen!‘ So was waren wir nicht gewohnt, auf der Französischen Schule sind Noten lange nicht wichtig. Aber eigentlich war die Kennlernwoche am Anfang der 11. Klasse toll.

Wahrscheinlich haben sich die Lehrer auch geprüft gefühlt. Es ging ja darum, zu zeigen, dass die Gemeinschaftsschule auch Abitur kann.
Franziska: Das war so. Eine Lehrerin hat nach dem Abi gesagt: ‚Ich bin so froh, viel mehr als ein Abiturient sein kann.‘

Interview: Angelika Brieschke

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Von links: Anton Kommert, Johanna Forschner, Franziska Fischer